Verschwörungserzählungen bedrohen Demokratie

Corona wirkt als Brandbeschleuniger

Mit etwa 30 Teilnehmern war die erste Online-Versammlung der Landkreis-Grünen durchaus eine gelungene Premiere. Als Referentin konnte Franziska Sänftl die Doktorandin Marlene Schönberger aus Adlkofen begrüßen, die zum Thema Verschwörungserzählungen am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaften forscht. Im parallel laufenden Chat konnten die Teilnehmer Fragen stellen und Kommentare abgeben.

In ihrer Einleitung erinnerte Sänftl an den Beginn der Coronakrise im März, als alle verordneten und empfohlenen Maßnahmen sehr ernst genommen wurden. Über den Sommer änderte sich dies in Teilen der Bevölkerung und begründete Sorgen wurden mehr und mehr durch Denkfiguren ersetzt, die geheimen Mächten die Verantwortung zuschoben und einfache Schuldzuweisungen formulierten.

Schönberger erklärte gemeinsame Eigenschaften von Verschwörungstheorien: Politische Akteure werden als Schachfiguren gesehen, von bösen Mächten gelenkt. Man meint, wichtige Entscheidungen werden nur hinter verschlossenen Türen getroffen. Beweise fehlen oder sie sind widersprüchlich. Es wird nicht abgewogen zwischen den angeblichen Zielen und dem benötigten Aufwand. Anhänger von Verschwörungstheorien sehen sich gerne im Besitz des absoluten Wissens, eine Diskussion ist schwierig, Gegenargumente werden nicht gehört.

Orientierungslosigkeit bei negativ wahrgenommenen Ereignissen befördern solche Erzählungen. Eine gewisse Hilflosigkeit sucht nach einfachen Erklärungen, die Schuldige klar benennt und die Ereignisse erwartbar macht und entlastet.

Aktuell trauen sich immer mehr Menschen, ihre Theorien zu verbreiten. In Zeiten von Corona ist das nicht nur Gefahr für unsere Gesundheit, sondern auch für unsere Demokratie, so Schönberger. Denn letztlich schwingt immer die Hoffnung auf die Vernichtung der Schuldigen mit. Außerdem sind Verschwörungstheorien ein antidemokratisches Machtmittel, mit dem Sündenböcke benannt werden können, mit dem man mobilisieren, Netzwerke stabilisieren und Handlungen legitimieren kann.

In einem geschichtlichen Abriss wurde deutlich, dass der Glaube an Verschwörungen die Menschheit begleitet. In Mittelalter und Neuzeit waren sie oft christlich beeinflusst: Teufelsglaube, Hexenverfolgung und Antisemitismus. Letztere begründet durch angeblichen "Hostienfrevel", Ritualmorde und Brunnenvergiftungen durch Juden. Antijüdische Stereotype entwickelten sich schon zu dieser Zeit. Paradoxerweise gab gerade die Zeit der Aufklärung den Verschwörungstheorien neuen Auftrieb. Liberale Geheimbünde und die jüdische Emanzipation mobilisierte deren Gegner und förderte entsprechende Theorien durch die Befürworter der alten Ordnung. Geradezu eskalierend war die Zeit nach den napoleonischen Kriegen als die Begriffe Sozialismus, Freimaurer, Judentum, Großkapital, amerikanische Großmacht mehr und mehr zu einer großen Erzählung verbacken wurden. Mit der Dolchstoßlegende des Ersten Weltkriegs, dem Bestseller der (gefälschten) "Protokolle der Weisen von Zion" und dem  Antisemitismus der Nazis eskalierte dieses Zeitalter in der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Danach kehrte die Mehrheitsgesellschaft bei uns diesem Denken den Rücken. Erst die Anschläge des 9.11.2001 markierten den Neubeginn von Misstrauen, Verachtung, von Islamophobie und Antisemitismus. Gerüchte von der Planung einer "Neuen Weltordnung" machen die Runde. Man spricht von einem zielgerichteten Bevölkerungsaustausch, von einer Klimalüge, von der Coronaoperation, um diesem Ziel näher zu kommen. Dabei werden alte Muster wieder sichtbar.
Die Politik muss diesem Trend durch höchste Transparenz ihrer Entscheidungen entgegenwirken. Marlene Schönberger rät, im persönlichen Umfeld wachsam zu sein und ersten Anzeichen mit guten Argumenten zu begegnen. Hohe Bildung und hohes Einkommen allerdings sind kein Garant dafür, vor Verschwörungstheorien gefeit zu sein, das sagen wenig Mut gebende jüngste Forschungsergebnisse. 

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